Shareholder vs. Stakeholder

Die Buchhaltung ist kein losgelöstes Konstrukt innerhalb der betriebswirtschaftlichen Praxis, sondern ein unmittelbarer Bestandteil mit Wechselwirkungen in unterschiedlichen Richtungen. Sie ist auch mehr als notwendiges Übel, um gesetzlichen Bestimmungen zu genügen. Tatsächlich ist die Buchführung ein Schlüsselelement für den betriebswirtschaftlichen Erfolg und eingebettet in ein gesamtes betriebswirtschaftliches Konstrukt.

Die Bezugspunkte zur Unternehmenssteuerung und Controlling sowie die Buchhaltung als Informationssystem für unterschiedliche Adressaten sind dabei die offensichtlichsten Anknüpfungspunkte der Buchhaltung mit anderen betriebswirtschaftlichen Elementen. Nachfolgend soll einmal die Sicht auf das Gesamtunternehmen gewählt werden, um einen weiteren Punkt zum besseren Verständnis der Rolle der Buchhaltung im Unternehmen zu gewinnen.

Die wesentlichen Fragen der Unternehmung

Sowohl die betriebswirtschaftliche Theorie als auch die betriebswirtschaftliche Praxis stellt sich – und muss sich stellen – die drei wesentlichen Fragen der unternehmerischen Tätigkeit: Was sind die Unternehmensziele? Wer trifft die Unternehmensentscheidungen? Wer ist am Unternehmenserfolg beteiligt? Die Beantwortung dieser drei Fragen wird oft und gerne unterschätzt. Selbst wenn Sie als Selbstständiger alleine unternehmerisch tätig sind, folgt daraus nicht eine einfache Antwort der obigen drei Fragen.

Um die Problematik der Beantwortung näher auszuleuchten, eignen sich der Shareholder-Ansatz und der Stakeholder-Ansatz als Vergleich. Diese beiden Ansätze geben nämlich unterschiedliche Antworten auf die drei Fragen.

Der Shareholder-Ansatz

Unter Shareholder sind die Anteilseigner eines Unternehmens zu verstehen. Anteilseigner sind all die Personen (natürliche oder juristische), die Eigenkapitalgeber des Unternehmens sind. Im einfachsten Falle sind das Sie als Selbstständiger oder Alleinunternehmer, der aus privaten Vermögen Kapital ins Unternehmen eingebracht hat. Ansonsten sind Anteilseigner natürlich auch die Gesellschafter eines Unternehmens oder im Falle einer Aktiengesellschaft die Aktionäre.

Das Shareholder-Konzept besagt dann, dass die Unternehmensleitung die Unternehmensentscheidungen so zu treffen hat, dass die ökonomischen Interessen der Eigenkapitalgeber verfolgt werden. Somit sind allein die Interessen der Anteilseigner relevant und somit die Mehrung des Eigenkapitals.

In Bezug auf die drei obigen Fragen bedeutet das, dass als Unternehmensziel die langfristige Gewinnmaximierung zu verfolgen ist. Langfristige Gewinnmaximierung entspricht Eigenkapitalmehrung. Die Entscheidungsgewalt im Unternehmen liegt damit allein bei den Anteilseigner oder den von ihnen eingesetzten Geschäftsführern (Management). Am Unternehmenserfolg partizipieren damit allein die Anteilseigner.

Der Stakeholder-Ansatz

Beim Stakeholder-Ansatz wird ein Unternehmen als Koalition unterschiedlicher Anspruchsgruppen verstanden. Das gilt selbst dann, wenn es nur einen Selbstständigen gibt. Die verschiedenen Anspruchsgruppen sind die sogenannten Stakeholder. Sie setzen sich zusammen aus Personen innerhalb und außerhalb des Unternehmens. Sie werden durch die Handlungen des Unternehmens direkt oder indirekt beeinflusst. Die Stakeholder tragen zum Unternehmenserfolg bei und haben dadurch Ansprüche ans Unternehmen.

Das Stakeholder-Konzept verfolgt daher, die unterschiedlichen Anspruchsgruppen und ihre Interessen zusammenzuführen und einen bestmöglichen Kompromiss zwischen diesen Ansprüchen zu finden. Alle Stakeholder sind hiernach an den Unternehmenshandlungen und am Unternehmenserfolg zu beteiligen.

Bei den Stakeholdern werden für gewöhnlich folgende Gruppen unterschieden: die Eigenkapitalgeber (Anteilseigner), die Fremdkapitalgeber, die Arbeitnehmer, ggf. das Management, die Kunden, die Lieferanten sowie die allgemeine Öffentlichkeit (beinhaltet die Finanzbehörden und andere staatliche Einrichtungen). Es ist sicherlich schnell ersichtlich, dass zwischen den einzelnen Interessen dieser Gruppen hohe Zielkonflikte entstehen können.

Offensichtlich sind die widersprüchlichen Interessen zwischen Anteilseigner und den übrigen Gruppen, beispielsweise zwischen der Gewinnmaximierung und hohen Zinsforderungen der Fremdkapitalgeber, hoher Entlohnung der Arbeiter, hohe Entlohnung und Entscheidungsmacht des Managements, hohe Preise der Lieferanten oder auch Umweltschutzmaßnahmen. Andererseits können auch Interessen gleichlaufend sein, beispielsweise die Gewinnmaximierung und die Arbeitsplatzsicherheit, sowie die Interessen der anderen Gruppen auseinandergehen, beispielsweise geringe Preisvorstellungen der Kunden und Arbeitsplatzsicherheit.

Nach dem Stakeholder-Ansatz sind mithilfe friedenstiftender Verhandlungen die unterschiedlichen Interessen abzuwägen und ein bestmöglicher Kompromiss zu finden. Die Beantwortung der obigen drei Fragen beinhaltet somit das Setzen eines gemeinsamen Ziels, ein gemeinsames Handeln der Stakeholder und eine Ergebnisaufteilung unter allen betroffenen Gruppen.

Folgerungen in der Praxis

Den Stakeholder-Ansatz in der genannten Reinform zu etablieren, ist aufgrund der stark unterschiedlichen Interessenlage der beteiligten Personenkreise so gut wie unmöglich. Deswegen und auch aufgrund des marktwirtschaftlichen Grundsatzes der Gewinnmaximierung als Ausdruck ökonomischen Handelns wird in der Praxis der Shareholder-Ansatz verfolgt – allerdings mit einigen Einschränkungen.

Zunächst einmal bedeutet die Gründung eines Unternehmens beziehungsweise die Tätigkeit eines Unternehmers, dass dieser das unternehmerische Risiko trägt. Die Erlöse des Unternehmens sind unsicher, während die meisten Aufwendungen sicher sind. Letzteres lässt sich darauf zurückführen, dass zwischen dem Unternehmen und beispielsweise Fremdkapitalgebern, Lieferanten und Arbeitnehmern Verträge existieren, aus denen die Aufwendungen für die Produktion klar ersichtlich werden.

Somit tragen diese Gruppen kein unternehmerisches Risiko. Das gilt auch für die anderen Stakeholder außer den Anteilseignern. Kunden und die allgemeine Öffentlichkeit sind am unternehmerischen Risiko ebenfalls nicht beteiligt. Da der Unternehmer das unternehmerische Risiko trägt, ist damit auch gerechtfertigt, dass bei ihm die Entscheidungsbefugnis liegt. Diese beiden Dinge sind zwei Seiten der gleichen Medaille. Damit sind Gewinnmaximierung als Ziel und Partizipation am Gewinn als Entschädigung für das Risiko ebenfalls gerechtfertigt.

Eine Teilberücksichtigung der Stakeholder-Interessen fällt aber nicht unter den Tisch. Verantwortlich dafür sind zum einen gesetzliche Rahmenbedingungen, in denen das Unternehmen handelt. So steht der Gläubigerschutz im Handelsgesetzbuch und weiteren Einzelgesetzen für den Interessenschutz der Fremdkapitalgeber. Arbeitnehmer werden durch verschiedene Arbeitsschutz- und Mitbestimmungsrechte geschützt. Eigentumsrechte, der Verbraucherschutz, Steuerrecht, Umweltschutz und weitere Interessen sind ebenfalls in Gesetzen beschrieben und schützen bestimmte Interessen der Stakeholder in der Praxis.

Die oben beschriebene Situation, dass zwischen dem Unternehmen und den Interessengruppen Verträge geschlossen werden, bedeutet auch einen Interessenschutz der Stakeholder durch diese vertraglichen Prozesse. Verträge werden nur dann geschlossen, wenn sie für beide Vertragspartner Vorteile mit sich bringen. Die staatliche Rechtssicherheit ermöglicht es dann, Vertragsansprüche einzuklagen und durchzusetzen.

Neben expliziten Verträgen gibt es auch implizite Verträge. Unternehmenshandlungen, die einer Gruppe zuwiderlaufen, können unter Umständen sanktioniert werden. Kunden können zum Konkurrenten abwandern, Mitarbeiter wechseln den Arbeitgeber, die öffentliche Hand sanktioniert Verstöße gegen Umweltauflagen – dieser marktwirtschaftliche und rechtliche Rahmen begrenzt somit den Shareholder-Ansatz.

Die Buchhaltung im Spannungsfeld der Interessen

Die Rolle der Buchhaltung ist unmittelbar eine im Konfliktbereich der beiden Ansätze. Sie bildet zusammen mit dem internen Rechnungswesen das Unternehmens in Zahlen ab, die für unternehmerische Entscheidungen wichtig ist. Die gesetzlichen Bestimmungen zur Buchhaltung beziehen sich aber auch auf die Berücksichtigung von bestimmten Stakeholder-Interessen – der vorrangige Gläubigerschutz (unter anderem durch das Vorsichtsprinzip abgebildet) ist hier ebenso ein Element wie der buchhalterische Gewinn als Grundlage der Besteuerung.

Da die Buchhaltung diese Mehrfachaufgabe zu erfüllen hat, ist sie auch so eng durch gesetzliche Bestimmungen geprägt. Aus einer klaren Regelung folgt eine Buchhaltung, die eine genaue Position im Spannungsfeld der Interessen einnimmt. Kenntnisse in der Buchhaltung bedeuten somit nicht nur das richtige Verbuchen von Geschäftsvorfällen, sondern auch Kenntnis der darin enthaltenen Informationen für die unterschiedlichen Interessengruppen. So lässt sich die eigene Buchhaltung auch als firmenpolitisches Instrument nutzen.

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