Bilanzierungsfähigkeit – Was kann und muss bilanziert werden?

Im Rahmen der Buchhaltung liegt zum Ende des Geschäftsjahres das Aufstellen der Bilanz an. Für die einzelnen Bilanzpositionen steht vor der Frage der Bewertung die Frage der Bilanzierungsfähigkeit. Es  ist somit zu beantworten, welche Sachverhalte überhaupt in die Bilanz aufgenommen werden (müssen). In vielen Fällen können Sie das durchaus intuitiv richtig beantworten, dennoch stehen hinter der korrekten Anwendung ein theoretisches Konstrukt sowie einige gesetzliche Grundlagen.

Abstrakte Bilanzierungsfähigkeit und konkrete Aktivierungsfähigkeit

In einer schrittweisen Sicht kann die Frage nach den zu bilanzierenden Sachverhalten stufenweise beantwortet werden. Bei der abstrakten Bilanzierungsfähigkeit wird die allgemeine Eignung eines Sachverhalts, als Aktiv- oder Passivposten in die Bilanz aufgenommen zu werden, beurteilt. Die konkrete Aktivierungsfähigkeit bezieht sich auf die ausformulierten Vorschriften in erster Linie des Handelsgesetzbuches (HGB). Das heißt, die dort enthaltenen Aktivierungsgebote, -verbote und -wahlrechte sowie Passivierungsgebote, -verbote und -wahlrechte.

Aus dem vorrangigen Ziel des Gläubigerschutzes folgt die Schuldendeckungskontrolle als erstes Informationsziel der Bilanz. Alle Vermögensgegenstände des Unternehmens sind Schuldendeckungspotenzial und alle Schulden des Unternehmens stellen das Anspruchspotenzial der Gläubiger dar. Damit sind nur Vermögensgegenstände und Schulden des Unternehmens in die Bilanz aufzunehmen und keine Sachverhalte eines Dritten, beispielsweise des Unternehmers als Privatperson.

Was sind Vermögensgegenstände?

Was genau unter einem Vermögensgegenstand verstanden wird, ist gesetzlich nicht definiert. Damit muss der Begriff aus der abstrakten Bilanzierungsfähigkeit gedeutet werden. Allgemein werden die drei Definitionsmerkmale Werthaltigkeit, Einzelverwertbarkeit und Selbstständige Bewertbarkeit herangezogen.

Werthaltigkeit: Die Sachen und Rechte des Unternehmens besitzen einen objektiven Wert, über dessen Nutzen ausschließlich das Unternehmen verfügt.

Einzelverwertbarkeit: Eine Sache oder Recht kann einzeln veräußert oder an Dritte zur Nutzung überlassen werden, ohne den Fortbestand des Unternehmens zu gefährden.

Selbstständige Bewertbarkeit: Anschaffungs- oder Herstellungskosten lassen sich der Sache oder dem Recht eindeutig zuordnen.

Beispiel: Werthaltig sind alle materiellen und immateriellen Gegenstände. Bei einem Geschäfts- oder Firmenwert ist die Einzelverwertbarkeit eher nicht gegeben. Im Rahmen der Forschung und Entwicklung sind allgemeine Forschungskosten nicht aktivierungsfähig mangels eindeutiger selbstständiger Bewertbarkeit, sondern müssten als Aufwand verbucht werden.

Auf der Passivseite ist die Frage der passivierungsfähigen Schulden einfacher zu beantworten, da in der Regel die obigen Kriterien angewendet auf den Fall der Schulden durch den Schuldenbegriff beziehungsweise der Schuldenentstehung an sich schon erfüllt sind. Die Schulden unterscheiden sich in sichere Verbindlichkeiten und unsichere Rückstellungen. Der Unterschied zwischen Vermögen und Schulden ist dann das Eigenkapital, das ebenfalls auf der rechten Seite der Bilanz steht. Das Eigenkapital des Unternehmens lässt sich als Schulden an die Anteilseigner aus Unternehmenssicht verstehen.

Konkrete Aktivierungsvorschriften

Die konkreten Aktivierungsvorschriften im HGB schränken den obigen abstrakten Bilanzierungsgrundsatz aufgrund von Kontrollierbarkeit und damit Rechtssicherheit ein. Durch den Grundsatz der periodengerechten Gewinnermittlung werden die Bilanzierungsvorschriften wiederum ausgedehnt.

Kontrollierbarkeit meint, dass alle Vermögensgegenstände, die per Beleg einen Wertnachweis erbringen können, auch zur Schuldendeckung herangezogen werden können. Damit sind grundsätzlich alle entgeltlich erworbenen Vermögensgegenstände aktivierungspflichtig (§ 246 (1) HGB). Auch materielle Vermögensgegenstände, die das Unternehmen selbst erschafft, sind über eindeutig zurechenbare Herstellungskosten aktivierungspflichtig (§ 246 (1) HGB).

Bei selbsterstellten immateriellen Vermögensgegenständen ist die Kontrollierbarkeit schwieriger. Rechtlich wird bei immateriellen Vermögensgegenständen des Umlaufvermögens ein ausreichende Nachprüfbarkeit unterstellt, somit sind diese Gegenstände aktivierungspflichtig (§ 246 (1) HGB). Bei immateriellen Vermögensgegenständen des Anlagevermögens besteht ein Aktivierungswahlrecht, wenn der Herstellungsaufwand hinreichend genau zurechenbar ist (§ 248 (2), S. 1 HGB). Das kann beispielsweise bei den Herstellungskosten für Patente und Software oder bei produktspezifischen Entwicklungskosten der Fall sein. Ist eine genaue Zurechenbarkeit nicht gegeben, gibt es ein Aktivierungsverbot (§ 248 (2), S. 2). Das sind beispielsweise Markenwerte, der Wert eines Kundenstamms oder Know-how der Mitarbeiter.

Durch die periodengerechte Gewinnermittlung werden weitere Bilanzpositionen in die Bilanz aufgenommen, die ebenfalls nicht der abstrakten Bilanzierungsfähigkeit abgeleitet sind. Das sind insbesondere die aktiven Rechnungsabgrenzungsposten (§ 250 (1) HGB), für die ein Aktivierungsgebot besteht. Das Aktivierungswahlrecht eines Disagios als Rechnungsabgrenzungsposten bei einer Kreditaufnahme ist ein weiteres Beispiel (§250 (3) HGB).

Konkrete Passivierungsvorschriften

Die abstrakte Bilanzierungsfähigkeit fordert bei den Schulden die Passivierung sämtlicher Schulden des Unternehmens sowie des Eigenkapitals als Saldo zwischen Vermögen und Schulden. Genau das verfolgen die Vorschriften im HGB für die Passivierung, wobei sowohl die sicheren Verbindlichkeiten als auch die unsicheren Rückstellungen in der Bilanz wiederzufinden sind (§§ 246 (1), 249 (1) HGB).

Daneben soll die periodengerechte Gewinnermittlung eingehalten werden, wodurch weitere Passivierungsgebote vorgeschrieben sind. Darunter sind bestimmte Aufwandsrückstellungen (§ 249 (1) HGB) und passive Rechnungsabgrenzungsposten (§ 250 (2) HGB). Ein Passivierungsverbot herrscht für Rückstellungen, die nicht explizit in § 249 (1) HGB genannt werden (§ 249 (2) HGB). Das sind zum Beispiel kalkulatorische Wagnisse.

Fazit

Bei den meisten Sachverhalten ist es eindeutig, ob diese als Bilanzposition oder Aufwand in die Buchhaltung aufgenommen werden müssen. Dennoch kann es immer wieder in einzelnen Fällen dazu kommen, dass es Unsicherheiten bezüglich der Bilanzierung gibt. Ein Kundenstamm stellt für ein Unternehmen zum Beispiel einen eindeutigen Wert dar, ist aber aus der abstrakten Bilanzierungsfähigkeit heraus schwer als Bilanzposition zu verstehen. Und die gesetzlichen Vorschriften bestätigen diese Überlegung. Erst wenn eine Kundenliste oder ähnliches entgeltlich erworben wurde, kann es nach den Bilanzierungsvorschriften auch bilanziert werden – obwohl es nach der abstrakten Bilanzierungsfähigkeit weiterhin zweifelhaft ist.

Mit der abstrakten Bilanzierungsfähigkeit und den drei definitorischen Grundlagen, was ein Vermögensgegenstand überhaupt ist, haben Sie bereits eine feste Grundregel an der Hand. Damit haben Sie auch eine gute Orientierung in Richtung der gesetzlichen Vorschriften, warum einige Positionen bilanziert werden und andere nicht. So kann auch bei einer etwas schwierigeren Bilanzierungsfrage eine gute Lösung gefunden werden.

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